Inside Neukölln: Berliner Geschichte(n) am Richardplatz

Kopfsteinpflaster, gusseiserne Laternen und niedrige Häuser aus einem anderen Zeitalter – am Richardplatz ist Kontrastprogramm das Motto. Das geschichtsträchtige Fleckchen Erde steht mit seiner beschaulichen Atmosphäre im absoluten Kontrast zu den schnelllebigen Seiten Neuköllns.

Wenn man auf dem zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee gelegenen Platz steht, wähnt man sich nicht nur in einer anderen Zeit, sondern auch an einem anderen Ort zu befinden. Urige Fachwerkhäuser, verwinkelte Gassen, kleine Läden und historische Villen prägen das Bild. Die turbulente Großstadt Berlin fühlt sich hier plötzlich an wie ein malerisches Dorf. Kein Wunder: Der Richardplatz war tatsächlich einst der Dorfanger des damaligen Örtchens Rixdorf.

 

Von Böhmischen Dörfern

 

Seinen Namen erhielt der Platz vom Ordenshof Richardshof des Johanniterordens, der 1360 zum Dorf Richardsdorp und später Rixdorf ausgebaut wurde. Der Orden wurde seinerseits vermutlich von einem Tempelritter namens Richard gegründet. Rixdorf teilte sich 1737 in die Stadtteile Deutsch-Rixdorf und Böhmisch-Rixdorf, die erst 1874 wieder zusammengelegt wurden. Kaiser Friedrich Wilhelm I. hatte damals protestantische Flüchtlinge aus Böhmen in die Stadt geholt, um dem Bevölkerungsschwund in Preußen nach Krieg und Pest entgegenzuwirken und sich neue Arbeitskräfte zu sichern. Im Gegenzug wurde den Migranten Religionsfreiheit garantiert.

 

Über die Geschichte der böhmischen Zuwanderer kann man sich in einem von Berlins kleinsten Museen, dem „Museum im Böhmischen Dorf“ informieren, das seit 2005 in der Kirchgasse 5 in einem ehemaligen Schulhaus der Böhmen zu finden ist. Hier werden Geschichte, Traditionen, Handwerkskunst und Alltag der Siedler präsentiert. Auch rund um den Platz kann man noch Reste der Siedlung bestaunen, denn die städtebauliche Struktur und die historischen Gebäude lassen in Ansätzen erahnen, wie das heutige Neukölln damals aussah.

 

Architektonische Zeugen aus früheren Jahrhunderten

 

Den Osten des Platzes dominiert die Bethlehemskirche, eine spätmittelalterliche Feldsteinkirche, die bereits 1435 zum ersten Mal erwähnt wurde. Sehr viel prominenter in der Mitte des Platzes ist jedoch die Rixdorfer Schmiede, die älteste Schmiede Berlins von 1624. Noch heute werden hier allerlei Gegenstände, von Wohnaccessoires über Werkzeuge und Kunstgegenstände in einem der ältesten erhaltenen Gebäude Rixdorfs hergestellt.

 

Unweit davon befindet sich eine weitere Besonderheit: Das 1894 gegründete Fuhrunternehmen Schöne, dessen historische Kutschen und Fuhrwerke auch besichtigt werden können. Der mehr als 120 Jahre alte Hof ist darüber hinaus immer wieder Veranstaltungsort für Feste und Events. Und auch kulinarisch kommt man auf seine Kosten: Die Villa Rixdorf ist mit ihrem gemütlichen Biergarten schon längst selbst ein Urgestein – nicht nur das Neuköllner Original Frank Zander blickt einem aus dem Schaukasten am Zaun entgegen und steht Pate für die Qualität der Bewirtung.

 

Tipp: Weihnachtszeit fernab des Großstadttrubels

 

Mittlerweile auch über die Grenzen Neuköllns hinaus populär ist außerdem der Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt. Er gilt als einer von Berlins romantischsten Weihnachtsmärkten, was sicherlich auch dem pittoresken Dorf-Flair seines Standorts zu verdanken ist. Jedes Jahr am zweiten Adventswochenende wird rund um den Richardplatz allerlei Selbstgemachtes, Kulinarisches und Kunsthandwerkliches geboten. Für Unterhaltung sorgen Musik- und Gesangsdarbietungen.

 

Dabei fusioniert die Vergangenheit mit dem Heute: In der historischen Schmiede demonstrieren die Schmiedemeister ihr Können, in der Betlehemskirche findet der Eröffnungsgottesdienst statt und noch immer wird das Weihnachtslied „Cas radosti“, Zeit der Freude, in der Sprache der einstigen böhmischen Einwanderer gesungen.

Bild: OTFW via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

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